„ … überall eine Raiffeisenbeteiligung“

Interview mit Clemens Staudinger

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Clemens Staudinger ist gemeinsam mit Lutz Holzinger Verfasser des „Schwarzbuch Raiffeisen“ (Mandelbaum Verlag, 2013), das im Detail die wirtschaftliche Macht und die wirtschaftlichen Verflechtungen des Raiffeisen-Konzerns nachzeichnet. Hier fasst er die wichtigsten Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus seinen Recherchen zum Thema Raiffeisen zusammen.

Clemens-Staudinger

Böse Zungen behaupten, die ÖVP sei mittlerweile nichts anderes als eine Filiale von Raiffeisen oder sowas wie ihr politischer Arm. Würden Sie in Ihrer Analyse des Naheverhältnisses zwischen ÖVP und Raiffeisen auch soweit gehen?

Ich glaube nicht, dass man behaupten kann, Raiffeisen ist ein Tochterbetrieb der ÖVP Genauso wenig kann man sagen, die ÖVP sei im Eigentum der Raiffeisengruppe. Aber, was auf jeden Fall stimmt, es sind kommunizierende Gefäße. Man muss immer die Dreifaltigkeit sehen, da spielt zusammen der Bauernbund, als politische Organisation der ÖVP, die Landwirtschaftskammern als Interessensvertretungen und die Genossenschaftsbewegungen. Jetzt kann die Genossenschaftsbewegung über ihre politische Einflussnahme auf die Landwirtschaftskammern wirken und gleichzeitig auf den Bauernbund, wobei der Bauernbund wiederum auf Raiffeisen wirken kann und teilweise haben sie Personalunionen.

In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass Raiffeisen im Gegensatz zu anderen Banken und Nahrungsmittelproduzenten die Möglichkeit hat, unmittelbar in die Politik hineinzuwirken. Auf welche Weise genau?

In allen Landesregierungen, mit Ausnahme Wien, sind Raiffeisen-Funktionäre vertreten. Raiffeisen könnte alleine im Parlament einen Club bilden. Raiffeisen verfügt über sieben Nationalräte, drei Bundesräte und eine EU-Abgeordnete.
Die politische Macht ist ganz einfach zu beschreiben, die Raiffeisengruppe hat Funktionäre im Gesetzwerdungsprozess. Also, im Parlament sitzen Raiffeisen-Abgeordnete und was noch genauso wichtig ist, die tatsächliche Arbeit im Parlament, das tatsächliche Verhandeln findet nicht im Plenum statt, sondern in den diversen Ausschüssen.
Konkretes Beispiel: Jakob Auer, Abgeordneter der ÖVP im österreichischen Nationalrat, Obmann des österreichischen Bauernbundes und sehr engagiert in der Raiffeisen-Welt Oberösterreich mit entsprechenden Funktionen. Wenn Sie sich anschauen, wo Jakob Auer im Parlament in irgendwelchen Ausschüssen vertreten ist, dort kann gezielt agiert werden. Das ist die eigentliche Macht. Der Großteil der Gesetze, die im österreichischen Parlament entstehen, sind Regierungsvorlagen. Die werden dann in den Ausschüssen mit den einzelnen Fraktionen verhandelt und da ist es wichtig, dass Raiffeisen unmittelbar in den Ausschüssen präsent ist. Andere Firmen müssen Lobbyisten beschäftigen.

Bemerkenswert ist auch der personelle Austausch zwischen Raiffeisen und und der ÖVP. Als Nummer 2 der Bundesliste kandidiert bei der Nationalratswahl Michaela Steinacker, die direkt aus dem Raiffeisen-Konzern kommt. In der Gegenrichtung hat – als wohl bekanntestes Beispiel – Josef Pröll die ÖVP in Richtung Raiffeisen verlassen.

Gerade der Fall Josef Pröll zeigt auch ein Demokratieproblem und er ist nicht der Einzige. Es sei in diesem Zusammenhang auch an den ehemaligen Vizekanzler Josef Riegler erinnert. Beides waren Mandate, die aus der Politik ausgeschieden sind und dann sehr weich in das Raiffeisen-Reich gefallen sind.
Jetzt kann man sich leicht ausrechnen, wie agiert ein Politiker, der über Raiffeisen-relevante Themen entscheiden muss, wenn er weiß, dass sein Mandat nicht ewig währt, aber dass es die Möglichkeit gibt, bei Raiffeisen noch gutes Geld zu verdienen. Damit sei diesen Politikern nichts unterstellt, aber der Anschein ist ein ungünstiger.

Kurz bevor Pröll in den Raiffeisen-Konzern wechselte, hat er als Finanzminister noch Entscheidungen getroffen, die ganz im Sinne von Raiffeisen waren. Stichwort: Notverstaatlichung der Kärntner Hypo Alpe Adria.

Bei der Hypo war es ganz konkret so, dass der damalige Finanzminister Pröll sehr auf diese „Notverstaatlichung“ gedrängt hat. Als Hintergrund kann man hier unter anderem sehen, dass die Hypo im Haftungsverband der anderen Hypothekenbanken der Länder war. Wenn man sich die Eigentümerstruktur dieser Hypothekenbanken anschaut – Oberösterreich Steiermark, Salzburg – gab es überall eine Raiffeisenbeteiligung. Also wäre Raiffeisen doppelt zum Handkuss gekommen. Zum einen über den Haftungsverband der Hypothekenanstalten und zweitens über die weitere Haftung des Bankenverbandes. Das war für die Raiffeisen die günstigere Variante. Kurze Zeit später hat Josef Pröll einen hochdotierten Job bei Raiffeisen übernommen.

Im „Schwarzbuch Raiffeisen“ bringen Sie ein weiteres Beispiel für eine Gesetzgebung ganz im Sinne von Raiffeisen: die Gruppenbesteuerung.
schwarzbuch-raiffeisen
Die österreichische Raiffeisengruppe hat nach 1989 sehr stark im Osten expandiert. Hintergrund unter anderem war, dass die deutschen Banken mit den neuen Bundesländern in Deutschland genügend zu tun gehabt haben – das Feld war frei. Unter Schwarz-Blau wurde im Parlament dann das System der Gruppenbesteuerung beschlossen. Dieses Instrument bedeutet nichts anderes als: wenn Sie eine Firma haben, die in Österreich eine Gewinn macht, dann müssen Sie den in Österreich besteuern. Wenn sie eine Tochterfirma im Ausland haben, die am Anfang einen Verlust macht, können sie diesen Verlust vom hiesigen Gewinn abziehen und zahlen weniger Steuern. Dieses Geld fehlt natürlich dem Budget und muss der österreichische Steuerzahler durch die Massensteuern, die Mehrwertsteuer, etc. ersetzen. Jetzt können Sie sich fragen, wie haben wohl die Raiffeisen- Funktionäre im Parlament abgestimmt, als dieses Gesetz, das unmittelbar ihrer Bank zugute kommt, aber auch anderen Banken selbstverständlich und anderen Wirtschaftsbetrieben, wie haben sie abgestimmt? Sie haben natürlich pro Gruppenbesteuerung gestimmt. Das ist ein exemplarisches Beispiel, das sich aber auch auf andere Beispiele umlegen lässt. Das Wirtschaftsinteresse steht gegen das Interesse der Gemeinschaft.
Wir haben in Österreich das Wesen des freien Mandats. Der Abgeordnete ist nicht seinen Wählern verpflichtet, keiner Partei verpflichtet, sondern ausschließlich seinem Gewissen. Bei verschiedenen Abstimmungsverhalten drängt sich der Verdacht auf, dass die Abgeordneten, die gleichzeitig Raiffeisen-Funktionäre sind, sich entsprechend verhalten, und ihrem Dienstgeber, der Raiffeisengruppe, dienen.

Raiffeisen ist in Österreich nicht nur politisch, sondern vor allem auch wirtschaftlich ein Machtfaktor. Als Agrarproduzent verfügt Raiffeisen über eine Reihe von Monopolen und eine beispiellose Marktdominanz. als „stiller Riese“

Man kann sich leicht den Raiffeisenmenschen vorstellen. Der Raiffeisenmensch ernährt sich von Raiffeisen-Produkten. Wenn der seinen Kühlschrank aufmacht, dann hat er dort Molkereiprodukte, Fleischprodukte, Käseprodukte. Ein Großteil davon wird von Raiffeisen sein. Weil es die entsprechenden Monopole gibt. Das Konto finden Sie bei der Raiffeisenbank, versichert sind Sie bei der UNIQUA, dort ist Ihr Auto, Ihre Zukunft, Ihr Leben versicher – UNIQA ist eine wesentliche Tochter von Raiffeisen. Auf Urlaub können Sie mit Raiffeisen-Reisen fahren, wenn Sie nicht auf Urlaub sind und wohnen, wohnen Sie in einer Raiffeisen-Immobilie, die Sie mit einem Raiffeisen-Kredit finanziert haben… Das lässt sich noch weiter ausdehnen. Alle diese Produkte haben gemeinsam, dass auf den wenigsten Raiffeisen draufsteht. Das stehen dann meist irgendwelche Fantasienamen wie „Finis Feinstes“ oder „Wiener Zucker“ – die zu Raiffeisen gehörende AGRANA hat ein Monopol auf Zucker, auf Rübenzucker in Österreich und kann dementsprechend sowohl dem Konsumenten als auch den Produzenten gegenüber agieren.

Die Agrarproduktion war einmal der Geschäftskern von Raiffeisen. Ist er es heute auch noch?

Raiffeisen war einmal eine Bauernselbsthilfeorganisation, die Darlehenskassen organisiert hat. Die erste Darlehenskasse in Spitz in der Wachau, da ist es darum gegangen, den Bauern über die Zeit zu helfen zwischen Aussaht und Ernte, weil in der Trockenzeit hat es keine Ernte gegeben. Heute ist die Raiffeisenbank auch international auf allen Kontinenten vertreten und macht entsprechende Geschäfte – das hat mit der ehemaligen Idee der Bauernselbsthilfegruppe nichts mehr zu tun. Heute hat sich Raiffeisen verselbstständigt, ausgehend von einer Selbsthilfeorganisation ist es einfach ein großer Industrie-, Medien-, Finanz- und Versicherungskonzern geworden.

Stichwort Medienkonzern: Raiffeisen übt über seine Zeitungen und Zeitschriften und seine Beteiligungen im Print- und Rundfunkbereich auch eine gehörige Medienmacht in Österreich aus.

Dieser Medienkonzern ist ganz, ganz wichtig. Und da muss Raiffeisen gar nicht Eigentümer sein. Sie wissen, um eine Tageszeitung erfolgreich betreiben zu können, brauchen sie ungefähr 70 Prozent Erlöse aus dem Inserategeschäft. Jetzt ist die gesamte Raiffeisengruppe – ob es jetzt Geld, Ware oder Milch ist – einer der größte Inseratenbucher Österreichs und Sie können davon ausgehen, dass redaktionelle Linien auch beeinflusst werden können, indem man Inserate schaltet oder nicht schaltet, ob man mehr oder weniger gibt.

Welche Möglichkeiten gäbe es, der Marktmacht und der Monopolstellung von Raiffeisen in Österreich Einhalt zu gebieten?

Es gäbe in Österreich dafür sehr, sehr brauchbare Instrumente. Es gibt zum Beispiel eine Bundeswettbewerbsbehörde. Die könnte sich anschauen, wie läuft das am Lebensmittelsektor und wenn Sie sich anschauen am Telekomsektor oder am Energiesektor, da gibt es sogenannte Regulatoren, die darauf schauen sollen, dass es keine Wildwüchse gibt. Das könnte man am Lebensmittelsektor insbesondere bei Milch und Getreide, also Mehl und Milch, da könnte man das auch andenken. Das wäre letzten Endes auch für den Konsumenten sehr günstig.