Es vergeht fast kein Tag, in dem dieses Thema nicht in den Medien vorkommt. In vielen Gemeinden Tirols hat sich hier einiges ereignet – doch worum geht es eigentlich?
Um das herauszufinden, müssen wir einen kurzen Abstecher in die Geschichte machen. Bis zum 19. Jahrhundert gehörten alle Nutzungsrechte dem Landesfürsten von Tirol, der allein darüber entscheiden konnte, wer seine Kühe wo grasen lassen durfte. Im 19. Jahrhundert, mit dem Ende des Feudalsystems, kam es zu einer Übertragung der Nutzungsrechte auf die Landtage. Um die Verteilung zu kontrollieren, erließ 1883 die damalige österreichisch-ungarische Monarchie ein Gesetz, mit dem neue Behörden eingerichtet wurden – die Agrarbehörden.
Dieser Ausflug in die Geschichte ist sehr wichtig: Denn der Punkt, an dem die Meinungen bis heute auseinandergehen, ist nun die Frage, an wen der Landesfürst seine Ländereien übergeben hat. Die Agrarplattform West mit ihrem Anwalt Bernd Oberhofer behaupten nun, dass das Eigentum an die „Allmende“, also die Gesamtheit der Hofstellen überging. Ein Nutzungsrecht, so die Argumentation, kann nur von dem in Anspruch genommen werden, der es wirklich nutzen kann – also ausschließlich an echte Bauern. Die andere Meinung ist, dass die Ortsgemeinden die Eigentümer des Gemeindeguts sind, und die Allmende, aus denen später die Agrargemeinschaften hervorgingen, lediglich ein Nutzungsrecht besitzt.
Bis in die 1950er-Jahre wurde das auch so gehandhabt: Die Bauern nutzten, was der Gemeine gehörte. Dann kamen einige Bauern auf die Idee, dass nutzen zwar gut, besitzen aber besser ist; denn die Nutzungsrechte waren auf das begrenzt, was die Bauern wirklich brauchten: Sie durften so viel Holz schlagen, wie sie zum Heizen brauchten, aber keinen Gewinn damit machen. Also wurde, meistens still und heimlich, und ohne jede gesetzliche Grundlage, aus öffentlichem Gut Privatbesitz der Agrargemeinschaften. Still und heimlich heißt aber nicht, dass es nicht von ganz oben so gewollt war: Im Jänner 2013 kamen Briefe ans Tageslicht, die belegen, dass Altlandeshauptmann Eduard Wallnöfer höchstpersönlich die Enteignung der Gemeinden gewollt hatte[1].
Ein besonders heikles Beispiel hierfür ist Mieming: 2000 Hektar Grund gehören den Agrargemeinschaften, darunter auch Baugrund in bester Lage, der billig an die eigenen Mitglieder und teuer an Fremde verkauft wird. Mieming besitzt heute noch ein Gemeindegebäude, ein Schulhaus und ein paar Hektar Lawinenwald; alles andere – bis hin zum Platz, auf dem die Kirche steht – rissen die Agrargemeinschaften an sich. Insgesamt 2000 bis 3000 km² gehören heute zu Unrecht den Agrargemeinschaften, eine Fläche so groß wie Osttirol oder fünf Mal Wien.
Dass hier im letzten Absatz von „zu Unrecht“ die Rede ist, ist keine Übertreibung, sondern gerichtlich bestätigt. Der Ort Mieders im Stubaital war jener Anlassfall, der das Thema Agrargemeinschaften 2006 ins Rollen brachte. Die mutige Leiter der Agrarbehörden, Josef Guggenberger, entschied damals, dass das dortige Eigentum der Agrargemeinschaft zurückgegeben werden müsste. Der Landesagrarsenat, die übergeordnete Behörde, hob den Bescheid aber wieder auf und der Fall landete beim Verfassungsgerichtshof, der im Jahr 2008 in aller Deutlichkeit sagte, dass das Land den Agrargemeinschaften nie gehört hatte. Die spannende Frage lautete daher: Wie ist es möglich, dass fünf Jahre später praktisch noch immer nichts passiert ist und die Gemeinden noch immer keinen Cent gesehen haben?
Hier wird es wirklich interessant, denn hier fängt die Verfilzung zwischen den Profiteuren der Agrargemeinschaften und den mächtigen in Politik und Behörden an. Seitdem das Verfassungsgerichtshofurteil 2008 eindeutig die Frage entschieden hat, wird nun von Seiten verschiedenen Seiten versucht, die Umsetzung zu verzögern. In der Hauptkritik steht dabei Agrarlandesrat Anton Steixner, dem von der Oppiosition immer wieder vorgeworfen wird, an keinem Kompromiss zwischen Gemeinden und Agrariern interessiert zu sein. Dies scheint aber nicht nur für Toni Steixner, sondern für die ÖVP insgesamt zu gelten: Einen Antrag aller Parteien mit Ausnahme der ÖVP, auf ein Agrargemeinschaften-Rückübertragungsgesetz, wurde von der ÖVP im März 2013 blockiert.
Was sind also die Agrargemeinschaften? In vielen Fällen ein Instrument, mit dem sich der Bauernstand Macht und Geld gesichert hat. In vielen Orten war es in der Zeit zwischen 1950 bis 1970 zu einem Wandel in der Zusammensetzung der Bevölkerung gekommen, und die Bauern stellten in vielen Dörfern nicht mehr die absolute Mehrheit. Daher „erfanden“ die Bauern das Instrument Agrargemeinschaften, damit der Gemeinderat der demokratischen Kontrolle über seine Besitztümer entzogen wurde, die für die Bauern interessant war. Sie übertrugen ohne rechtliche Grundlage Gemeindegut in die Agrargemeinschaften und bringen so die Gesamtbevölkerung um sehr viel Geld. Ein letztes Beispiel: Die Stadt Innsbruck zahlt jährlich 600.000€ für eine Mülldeponie im Arnthal an eine Agrargemeinschaft, die ihr laut Verfassungshofurteil eigentlich gehören müsste. Und dieses Geld fehlt der Stadt dann für Sozialprojekte oder billigeres Wohnen.
Was wäre nun also wichtig? Aus unserer Sicht müsste man dafür sorgen
– dass im Regulierungsverfahren die Rechte der Gemeinde gewahrt werden und dass Gemeindegut im Eigentum der Gemeinde bleibt und nicht rechtswidrig in private Taschen wandert!
– dass der Mitgliederstand überprüft wird, ob wirklich alle, die momentan von diesem Gemeindegut profitieren, dieses auch brauchen. Ziel muss es sein, genau diejenigen Landwirtschaften zu unterstützen, die es auch wirklich brauchen!
– dass auch für alle anderen Gemeindebürgerinnen und Gemeindebürger die Möglichkeit besteht, einen Brennholzbedarf anmelden zu können, sofern dieser nicht anders gedeckt werden kann, so wie es in Grinzens bis zur Gründung der Agrargemeinschaft in den 60igern alte Tradition war!
Ein abschließender Lesetipp, für alle, die mehr darüber wissen wollen: „Schwarzbuch Agrargemeinschaften“ von Alexandra Keller.
[1] http://derstandard.at/1356426801858/Brisanter-Briefwechsel-zu-Tiroler-Agrargemeinschaften
Quelle und Dank an: SJ Tirol / Bildquelle: Pixabay – Die inhaltliche Verantwortlichkeit liegt bei der Quelle